Viele träumen von der Viertagewoche, das zeigen die Reaktionen auf eine Falschmeldung aus Finnland. Für den Anfang würden schon weniger starre Arbeitszeiten helfen.
Ein Kommentar von Carla Baum 9. Januar 2020, 10:27 Uhr
Die Nachricht war zu schön, um wahr zu sein: Die neue finnische Regierungschefin Sanna Marin schlägt die Viertagewoche mit nur sechs Stunden am Tag vor. Rasant verbreitete sich das angebliche Vorhaben der finnischen Koalition Anfang der Woche in sozialen Medien. Eine 34-jährige Mutter, die jüngste Regierungschefin der Welt, pustet frischen Wind nicht nur in die Politik, sondern auch in die Arbeitswelt. Das passte. Stimmte aber nicht. Wenig später stellte die finnische Regierung auf Twitter klar, die Viertagewoche sei kein Bestandteil des neuen Regierungsprogramms, sondern lediglich eine Idee, die Marin auf einer Podiumsdiskussion im August vorgestellt habe.
Die Begeisterung, die diese Falschnachricht auslöste, kann man als Symptom einer gesamtgesellschaftlichen Sehnsucht deuten: nach mehr Zeit, mehr Abwechslung, einem Alltag, der nicht nur aus Arbeit und einem oft mit Organisationsstress gefüllten Feierabend besteht.
Dem Wunsch nach einer Viertagewoche liegt natürlich der Traum von mehr Freizeit zugrunde. Aber nicht alle Arbeitnehmerinnen wollen oder können weniger arbeiten. Vielen würde es schon genügen, flexibler zu sein. Denn arbeiten, das heißt oft Nine-to-Five, Montag bis Freitag. Um 7.15 Uhr klingelt der Wecker, um 7.25 Uhr läuft die Dusche, um 7.50 Uhr noch schnell ein Kaffee, um 8.11 Uhr fährt die S-Bahn. Fünf Tage die Woche, 250 im Jahr, täglich grüßt der Kollege in morgendlicher Plauderlaune.
Die digitalisierte Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts lässt es eigentlich zu, aus diesen starren Konstrukten auszubrechen. Es ist längst Zeit für mehr Flexibilität. Aber Unternehmen kommen diesem Wunsch viel zu zögerlich nach. Viele werben zwar mit Familienfreundlichkeit und flexiblen Arbeitszeiten, in der Realität beschränken sie sich aber auf Gleitzeit-Regelungen und wenige Tage Homeoffice pro Jahr. Viertagewochen gibt es bisher nur bei einigen wenigen kleinen, meist jungen Firmen und für manche Mitarbeiter großer Tech-Unternehmen wie Google, Amazon und Microsoft.
Vertrauen statt Kontrolle
Dass nicht viel mehr Arbeitgeber so etwas versuchen, lässt sich einerseits damit erklären, dass sie an alten Strukturen festhalten. Die Konferenz um 8 Uhr morgens? Haben wir hier schon immer so gemacht. Viele Arbeitsverhältnisse beruhen außerdem auf Kontrolle: Wenn die Mitarbeiter zu festgelegten Zeiten an ihren Schreibtischen sitzen, kann die Chefin jederzeit nachsehen, ob Herr Özcan lieber beim Kaffee plaudert, statt den Kunden anzurufen.
Flexibilisierung verlangt von Vorgesetzten, dass sie ihren Mitarbeitern vertrauen. Am Ende zählt ohnehin nicht, wie lange Frau Friedrich Zigarettenpause macht, sondern dass sie die Bestellung wie geplant bis Mittwochnachmittag aufgegeben hat. Eine Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft ergab, dass flexible Zeiten und Arbeitsverhältnisse, die von Vertrauen gekennzeichnet sind, Mitarbeiter nicht nur zufriedener, sondern auch produktiver machen. Gleichzeitig müssen Führungskräfte flexible Arbeitszeiten auch selbst vorleben. Wenn die Chefin immer um 8 am Schreibtisch sitzt und als Letzte das Büro verlässt – wer traut sich da, seine Aufgaben an vier Tagen abzuarbeiten und freitags zu Hause zu bleiben?
Quelle: Zeit Online